Digitalisierung stationärer Einzelhandel – Einzelhändler stehen vor großen Herausforderungen!

Das Aussterben der Innenstädte ist vielerorts bereits Realität. Die Digitalisierung der Gesellschaft wirkt sich auch auf den Handel aus. Eine Veränderung, die viele Händler vor die große Aufgabe stellt, Ihr Geschäfts- und Verkaufsmodell an die Bedürfnisse der neuen „Smart Shopper“ anzupassen. City Manager wie Christan Kramer erstellen in enger Zusammenarbeit mit Händlern, Kommunen und Dienstleistern neue Konzepte und versuchen an „der Wurzel“ ein Umdenken zu erreichen.

Herr Kramer, Sie sind in Ihrer Funktion als City Manager ganz nah am Handel, insbesondere an den kleinen Einzelhändlern.
Was sehen Sie aktuell als die größte Herausforderung an diese Händler, mittelfristig gesehen und in Bezug auf die eingangs erwähnte Digitalisierung?

Das Gesicht des Einzelhandels wird und muss ich stark verändern, wenn er eine Zukunft haben will. Die größte Herausforderung für den stationären Einzelhandel ist die mentale Einstellung und das Einlassen auf die eigene Transformation. Die Händler müssen für diese Wanderung in einem bekannten Gebiet nicht nur neues Schuhwerk anlegen, sondern eingelaufene Pfade verlassen, weil die herkömmlichen Strategien in der No-Line-Welt nur noch bedingt hilfreich sind.
Natürlich birgt das Verlassen eingelaufener Pfad Risiken, die es abzuwägen gilt. Da kann man sich mal Blasen laufen oder über Steine oder Äste stolpern. Die Digitalisierung bringt Herausforderungen mit sich – bei Investitionen, in der Mitarbeiterführung etc.; die Angst wird aber größtenteils überbewertet. Vielen wissen schlichtweg nicht, was mit der Digitalisierung verbunden ist und sehen daher auch die Chancen nicht.

Mittelfristig wird sich daher bei den professionellen Einzelhändlern die Unwissenheit legen. Sie werden erste Schritte erfolgreich bewältigt haben – teilweise auch mit einem Scout, wie es moderne City Manager oder City- und Stadtmarketingberatungen es sind. Die Digitalisierung wird in die Einzelhandelsfläche eingezogen sein, wo sie der Kunde wie selbstverständlich erwartet und gerne nutzt.

Wird der Onlinehandel von den Händlern als Bedrohung wahrgenommen oder sehen das viele auch als Chance?

Pauschal kann ich das nicht beantworten. Es gibt solche und solche.

Nach meiner Beobachtung sehen vor allem diejenigen Händler den Onlinehandel als Bedrohung, die es bisher nicht geschafft haben Zusatznutzen für den Kunden zu generieren und noch nicht ihre Alleinstellung gefunden haben. Diese Händler stehen mit dem Onlinehandel in erster Linie im Preiskampf, den sie schon aufgrund der Kostenstruktur nicht gewinnen können. Sie holen sich jeden Tag die „Preis-Watsche“ direkt beim Kunden ab. Natürlich würde diese am liebsten das Internet abschalten.

Aber es gibt bereits eine Reihe von offenen und innovativen Einzelhandelsunternehmer*innen, die teilweise diesen Anstoß gebraucht haben, um zu sagen: Jetzt oder nie! Diese Händler erfinden sich gerade neu, sind selbstkritisch und lassen sich auf den „neuen Kunden“ ein. Sie denken nicht mehr in Produktverkäufen, sondern in Problemlösungen. Dazu müssen Sie diesen ambivalenten Kunden wissen und neu kennenlernen – auch auf Datenbasis. Diese Blick auf den Kunden hat der Onlinehandel dem stationären Handel voraus… noch.

Hat Ihrer Meinung nach ein eingesessener Einzelhändler mit nicht zu ausgefallenem Sortiment überhaupt die Ressourcen, sowohl personell als auch finanziell, sich den Herausforderungen in Konkurrenz mit dem Onlinehandel zu stellen?

Das Sortiment – auch wenn es weniger ausgefallen ist – kann immer nur Teil einer Problemlösung sein. Ich hatte in einem Facebook-Workshop einmal Mutter und Tochter, die gemeinsam ein Wollgeschäft führen und sich fragten, warum sie überhaupt Social Media nutzen sollten – sie glaubten, dass es nicht spannend sei, wenn sie ein paar Mal pro Woche von neuen Wolllieferungen berichten.

Aus Sicht der Betreiberinnen ist die Wolle mit all ihren Facetten ein klasse Produkt. Der Kunde war für die Damen ein Produktkäufer, der daraus Socken, Mützen, Pullover etc. strickt. Sehen die Damen, ob die Wollkäufer*innen mehr oder weniger handwerkliches Geschick und eine kreative Ader haben oder Familie und Freunden mit Selbstgestricktem eine Freude bereiten wollen? Hier könnten Sie zusätzliche Angebote unterbreiten; Strickkurse, Vorträge zu Stricktrends, gesellige Strickabende mit Gleichgesinnten. So schaffen sie nicht nur Mehrwert, sondern können mit dem Geplanten und Erlebten die Facebook-Fanpage beleben.

Die Digitalisierung setzt beim eigenen Geschäftsmodell an: Unternehmer*innen müssen nicht nur über das Produkt hinausdenken; sie müssen auch wissen, wie sie Wert für den Kunden mit digitaler Hilfe schaffen können. Die digitalen Möglichkeiten können umfassend eingesetzt werden im Marketing, in der betrieblichen Infrastruktur und den Abläufen.

Wo liegt Ihr Ansatz, konkret zu unterstützen? Greifen die Einzelhändler direkt auf Ihr Wissen und Ihre Meinung zurück?

Wir City Manager sind meistens erste Anlaufstelle für unsere lokalen Akteure aus Handel, Gastronomie und Dienstleistung. Die Digitalisierung beschäftigt uns nämlich in Bezug auf die Umsetzung auf die Innenstädte und Quartiere. Was die Unternehmen im Kleinen planen, konzipieren wir im Großen: Unsere Innenstädte werden auch digitaler und der Einzelhandel ist ein Teil davon. Besucher und Technologien sind teilweise auch die gleichen und könnten sogar aufeinander angestimmt werden.
Als City Manager muss ich die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Innenstadt antizipieren können. Die Informationen helfen auch unseren Einzelhändlern und ich gebe die Informationen gerne weiter.

Was ist Ihre Vision, wie sehen Sie den Einzelhandel der Zukunft und wo sollten die Dienstleister für den Point-of-Sales hier besonders ansetzen? Ist Omni-Channel wirklich das Allheilmittel der Zukunft?

Es geht klar in Richtung Omni-Channel. Wenn wir uns ansehen, wie sich die Kunden bereits verhalten, wie sich Ihre Ansprüche an ein bequemes Einkaufen entwickeln, wie sich stationärer und Onlinehandel mehr und mehr annähern und kombinieren lassen. Die Verschmelzung wird immer stärker und forciert sich mit kontinuierlicher Herabsetzung von Eintrittsbarrieren wie Investitionskosten und Kundenakzeptanz.
Einen ersten Investitionsschub wird die GoBD noch im Laufe diesen Jahres bringen, auch wenn die Übergangsfrist bereits beendet ist. Der Einzelhandel muss sich an der Kassentheke erneuern und sollte vor allem auf Systeme setzen, die sich modular erweitern lassen – vor allem in Richtung Kundenbindung und Warenwirtschaft. Das Warten an der Kasse sollte dann bald der Vergangenheit angehören und mit einer Zunahme der bargeldlosen Zahlung einhergehen. Der Nutzen liegt auf beiden Seiten. Jeder Einzelhändler kann sich davon ein Bild machen, wenn er einen Apple Store besucht.
Mit der Pflicht zur Dokumentation muss der Einzelhandel den Schritt zur Digitalisierung und damit zur strategischen Neuausrichtung gehen.

Communities – der Zusammenschluss vieler Einzelhändler birgt große Chancen vermehrt Kunden in die Innenstädte zu bringen und an Attraktivität zu gewinnen. Auch CCV ist in dieser Richtung sehr aktiv. Haben Sie hier bereits Erfahrungen und wie können Einzelhändler tatsächlich für derartige Initiativen gewonnen werden? Was müssen derartige Lösungen Ihrer Meinung nach umfassen um wirklich Erfolg haben zu können?

Zusammenschlüsse gibt es schon seit Jahrzehnten. Die Werbegemeinschaften, die sich überwiegend aus Einzelhändlern zusammensetzen, bündeln darin Ihre Ressourcen (meist Geldmittel), um Kunden mit Werbung und Veranstaltungen in die Innenstädte zu locken. Die Reichweite, die die Zeitungen in ihren Mediadaten kommunizieren, ist jedoch nicht mehr die entscheidende Größe, seitdem Google AdWords und Facebook Ads mit Werbekostenkontrolle die Online-Werbung salonfähig gemacht haben. Seitdem haben die Einzelhändler das Gefühl, dass sie für Printwerbung zu viel bezahlen und sich deshalb damit zurückhalten. Damit haben vor allem die lokalen Zeitungen zu kämpfen. Gleichzeitig ist dem Einzelhandel die vermeintlich „günstige“ Werbung noch suspekt und lernt diese gerade erst kennen.
Die Entwicklungen bei lokalen Online-Marktplätzen ist noch jung und fragil. Da wird es noch eine gewisse Marktbereinigung geben, weil die Masse des Einzelhandels gedanklich und technisch noch nicht auf Augenhöhe mit den Startups ist. Die Zeit bis dahin werden viele Marktplatz-Anbieter nicht durchhalten. Die Lösung ist aber nicht immer nur technisch.

Ein Zwischenschritt ist mit Sicherheit, die lokalen Akteure im Rahmen der Community vor Ort bei der Hand zu nehmen und Sie auf dem Weg in die Digitalisierung zu begleiten. Daher sollten sich die Communities von externen Spezialisten durch Vorträge und Seminare bei der Umsetzung ihrer Gemeinschaftsstrategie unterstützen lassen. Persönlich kann ich hier die Experten der national aktiven und regional verwurzelten CIMA Beratung + Management empfehlen. Staatliche und private Förderprogramme übernehmen dafür teilweise die Kosten.

So wächst das Verständnis für die Digitalisierung und die ersten Schritte mit den noch neuen Techniken sind von Erfolg gekrönt. Weil die Entwicklung weitergeht, hört das Lernen nicht auf.